Bildung, Ausbildung und Schulbildung kritisch hinterfragt

Im allgemeinen Sprachgebrauch setzen wir Bildung gleich mit Ausbildung, besonders mit Schulbildung und Studium. Das ist eine unangemessene, einseitige und sogar verfremdende Betrachtungsweise. Als ob ein, nicht mit fremden Geistesgut, vollgestopfter Mensch keine Bildung habe!

Bildung muss sich durchaus nicht an Vorgeformten, Normiertem orientieren und anderes Wissen und Meinung übernehmen und weitergeben. Diese “Bildung” ist eher eine Verbildung. Eine bewusste Lenkung und Bewertung zum Zweck einer Formung nach einem Vorbild, eine als “Kulturgut” vorgegebene “Entwicklungsschablone”: Wenn man das Übernommene, das “Gelernte” wiedergibt und verwendet, gilt man als “gebildet” – zumindest unter den nach gleichem Muster “Gebildeten”.

In dieser Art “Bildung” lernt ein Mensch seine Aufmerksamkeit auf ganz bestimmte Vorgaben zu lenken und möglichst alles andere auszublenden. Er lernt, “sich” zu konzentrieren. Man bewertet das dann als “Aufmerksamkeit”.

Lässt ein Mensch noch alles sonstige in seine Wahrnehmung gelangen, spricht man sogar von einem Defizit, einem Mangel, sogar von einer “Aufmerksamkeitsstörung”. Obwohl es sich eigentlich um eine umfassende Wahrnehmung handelt, eine “Ganzaufmerksamkeit”.

Eine “Störung” mag vorliegen, wenn es einem nicht gelingt, konzentriert auf etwas Bestimmtes aufzumerken und dabei bleiben will, selbst will und – eigentlich – von etwas “gefesselt” ist, sich aber von jeder Fliege ablenken lässt und seine Aufmerksamkeit streuen lässt.

Meiner Beobachtung nach sind die meisten nur deshalb abgelenkt, weil ihnen das Aufmerksamkeitsobjekt egal ist, sie innerlich “kalt” lässt – im Gegensatz zu der “Versenkung”, wenn man “ganz” bei der Sache ist, zum Beispiel beim Spielen.

Zu lernen bewusst Wahrnehmungen auszublenden zum Zwecke der Konzentration ist durchaus sinnvoll, zum Beispiel um sich aus einem überwältigenden Potpourri von Eindrücken zu befreien und “bei sich” zu bleiben oder “zu sich zu finden” oder bei einer Sache zu bleiben, in innerer Ruhe und Sammlung.

Genau das wird jedoch meist nicht gelehrt und gelernt oder geübt, um es handhaben zu können bei Bedarf oder wo es Sinn macht.

Grundsätzlich treffen alle Impulse aus dem Umfeld und dem Kosmos auf den menschlichen Organismus, und er nimmt sie wahr, auf die ihm gemäße Art, d.h. im Wahrnehmungsbereich von Menschen, allgemein und der eigenen Wahrnehmungsfähigkeit im Besonderen. Pflanzen, Tiere usw. haben jeweils ihre eignen Wahrnehmungsbereiche und Wahrnehmungsweise, ebenfalls mit großer Bereichsstreuung, allgemein und individuell, mit großen Unterschieden.

Faszinierend finde ich, wie Tiere, z.B. Katzen oder Hunde (aber auch andere) gleichzeitig völlig empfänglich sind für alles Wahrnehmbare, und sogar anscheinend für nicht wahrnehmbare Impulse, und zugleich sich selektiv auf eine bestimmte Wahrnehmung konzentrieren und sie in das Gesamtbild einordnen können und ohne Verzögerung reagieren.

Ähnliches habe ich nur bei “zu Tode gelangweilten” Schülern oder Zuhörern erlebt, bzgl. des Klingelzeichens oder des Vortragsendes, wo ruckartig alle wieder lebendig werden und die Flucht ergreifen (oder mechanisch Applaudieren). Bei aller “Verbildung” hat sich der Mensch offenbar einen Rest natürlicher Fähigkeiten bewahrt.

Ansonsten habe ich mit großem Bedauern feststellen müssen, dass das, was wir unter “Bildung” verstehen den Menschen zu einem guten Teil zu uninteressierten, wenig wissbegierigen Wesen entwickelt hat, die sich gerne unterhalten lassen, als “ausschließlicher Tätigkeit”. Das Umsetzen von “Wissen” in TUN ist überwiegend auf der Strecke geblieben. Abnorm dagegen wurde die menschliche Gabe gefördert, sich von etwas zur Aufmerksamkeit verleiten zu lassen und aufzunehmen, ohne groß darüber nachzudenken, weder während, noch nach der “Darbietung”: Berieselung und Denkpause!

Meiner Meinung nach, werden wir durch die Art der “Bildung” zu solchem Verhalten angeregt, ja sogar regelrecht dazu erzogen. Die “Bildung” hat mehr mit Darbietungen (Vorlesungen) zu tun als mit dem eigenen Erwerb und Erleben, Mithören und “Gehorsamkeit”. (Hörsaal)

Kritische Auseinandersetzung wird eher als Störfaktor angesehen. Unsere “Bildungswelt” ist stark monologisiert. Das Bücher-/ Lexikonwissen sowieso. Statt umfassender, Fächer- und Disziplinen- übergreifender, vernetzter Behandlung eines Themas oder Themenkreises werden durchweg isolierte “Wissenssäulen hochgezogen – ohne die entsprechenden Querverbindungen, oft auch noch einseitiger überspezialisiert. Die Entwicklung von Verständnis und Erkenntnis, also “wirklicher Bildung” braucht die Vernetzung, denn das Leben ist vernetzt.

Als Kind habe ich viele umfassend gebildete Menschen kennengelernt – mit kaum “Schulbildung und Schulwissen”. Das Gros der älteren Bauen mit Wald-, Frucht- und Viehwirtschaft, Kleinhandwerker und Kleinstgewerbetreibende, allesamt “selbständige Unternehmer” – selbst ein “Bauchhändler” oder “Ein-Sack-Supermarkt” im Wandergewerbe. Sie alle waren in hohem Maße auf Achtsamkeit angewiesen, in allen ihren Lebensbereichen und auf ein großes Maß von Flexibilität, da sie mitten im Leben standen und es bei aller Regelhaftigkeit mit ständigem Wandel zu tun hatten. Sie mussten aufmerksam sein bei ihren Verrichtungen, da die Folgen von Unachtsamkeit meist sofort durch Misserfolge zu spüren waren.

Ihre vielen, alltäglichen Beobachtungen, Erfahrungen und Überlegungen und der gegenseitige Erfahrungsaustausch hatten ihnen eine umfassende, ganzheitliche “Bildung” vermittelt, und vielerlei Tricks und Kunstgriffe für Missgeschickte, Pannen, Notfälle und Schicksalsschläge. Ich habe viel von ihnen gelernt – für mein ganzes Leben. In ihrer Schlichtheit und Direktheit waren sie auch für mich als kleines Kind fassbar und begreifbar.

In Abhängigkeit Arbeitende, z.B. in Fabriken, Geschäften, Büros und Verwaltung, waren offenbar einseitiger “gebildet” und weniger offen für Fragen meiner kindlichen Neu- und Wissbegierde. Gewohnt, an vorgegeben Aufgaben und Anleitungen orientiert zu arbeiten, hatten sie allem Anschein nach einen Teil natürlicher Lern- und Bildungsbereitschaft und Bildungsfähigkeit eigebüßt, zugunsten einer mehr routinierten, schablonenhaften, mechanisierten Aufnahme- und Verarbeitungsweise.

Später habe ich beobachtet, dass das sogenannte “logische Denken” zu einer starken geistigen Verformung führt: Statt eigene Schlüsse zu ziehen lernt man “logische Schlussfolgerungen”. Statt analoger, vernetzender Auffassung und Verarbeitung in Synchronie, wird linear, folgerichtig, Punkt für Punkt eine Idee, eine Theorie, ein Erlebnis, ein Gesichtspunkt, ein “Ziel” verfolgt. Man lernt, einer gedachten Linie zu folgen und “Abweichendes auszuschließen”. Am besten noch unter Laborbedingen, unter kontrollierten und kontrollierbaren Gegebenheiten, damit sie wissenschaftlich verifizierbar sind und “haltbar”, das heißt rekonstruierbar, wiederholbar, in exakten Definitionen etikettiert, um alle unvorhergesehenem und unvorhersehbaren Eventualitäten auszuschließen, oder zumindest “dingbar” zu machen. Also das genaue Gegenteil vom natürlichen Leben, vom Leben überhaupt – einzelne, isolierte Bildungsstränge nebeneinander statt einem ineinander verwobenem Geflecht!

Diese Wegführung vom natürlichen, lebendigen, sich ständig verändernden, wandelnden “Umfeld”, lässt die natürlichen Fähigkeiten des Menschen schrumpfen und “eintrocknen”, da sie weder gebraucht, noch erwünscht, noch geübt sind. Das Ergebnis sind dann angepasste Menschen, denen die natürliche Lebendigkeit als “Ungewissheit” des Lebens “Angst” macht, zumindest sie verunsichert und ihnen Unbehagen bereitet, weil im Leben nicht auf Knopfdruck der gewünschte Effekt, das gewollte “Programm” läuft, bzw. sich herbeizaubern lässt und sie sich von virtuellen Welten und “Eingedostem”, vorprogrammierten “Lebenstheater” begeistern lassen. Am besten mit Garantien, Inhalts- und Verwendungsangaben und Umtausch- oder Rückgaberecht… und so vor allem “Überraschendem” gefeit zu sein… allenfalls noch akzeptabel in Form von “Überraschungseiern”, in geführten Erlebnis- und Abenteuerreisen, in Dschungelcamps.

Unsere Sichtweise ist erschreckend schablonenhaft geworden – bei den Jüngeren unter dem immer umfassenderen Angebot in allen Bereichen, auch im Bildungs- und Ausbildungswesen, wie ich im Laufe der Jahrzehnte beobachten konnte. Auch die “Freiräume” sind organisiert und kontrolliert, -dem Leben “zuschauen”, statt leben und Leben wagen.

Die “intellektuelle” Reform im Schul- und Bildungswesen seit den 60er Jahren hat zu einer Lebensweise geführt, die immer “steriler” geworden ist, genormter und “verfestigter”, aus meiner Sicht. Symbolhaft in Stein dokumentiert in den “gebildeten” Gärten des Grauens: Durchgestylt und so “natürlich”, dass kein einziges, nicht eingeplantes Gräschen mehr dort wachsen kann, kein Unkräutchen, kein Blümchen oder Würzelchen: strikt die einmal gewählte Form “ewig” einhaltend, kein Maulwurf, keine Wühlmaus, kein Regenwurm, kein Vogel, kein Bienchen oder Schmetterling stört je die Ordnung, die eigene Kreativität. Kein Rasenmähen mehr, kein Strauch- oder Baumbeschneiden mehr. Nicht ein einziges Lebenszeichen mehr, aber ganz “Bio”: Regenwasserdurchlässige Steinbeschichtung mit Individualakzenten aus Stein, zeitlos und “ewig”, erstarrte Kunstbildung.

Ein bisschen mehr Lebendigkeit und Erfahrbarkeit würden dem Bildungswesen guttun, nicht “Verdigitalisierung” in die Zweidimensionalität “geglaubter” Dominierbarkeit künstlicher Intelligenzen. Schon jetzt beginnen die zu unserem Dienst angelernten KI in Wirtschaft und Verwaltung uns zu beherrschen und uns nach ihren Anweisungen tanzen zu lassen.

Die Weisen aller Zeiten lehren und lehrten uns ein Leben im Hier und Jetzt, im Nicht-Anhaften an Vergangenem, denn LEBEN könne man wahrhaftig nur im Augenblick.

Unsere Bildungs- und Schulsysteme lehren uns, Vergangenes aufzunehmen und zu behalten. Das Vermittelte, Gelehrte, Gelernte zu behalten ist eine wichtige Kontroll- und Bewertungsmethode über den “Bildungserfolg”.

In Erinnerung gebracht und behalten wird aber keineswegs authentisch Erlebtes, sondern eine zweckdienliche Auswahl und Deutung, bisweilen sogar bewusste Ereignisverfälschung, “Geschichte” (Historie) genannt, und solchermaßen deklariertes und konserviertes wird kommenden Generationen als “Wahrheit” übermittelt, zur Bildung von Geschichtsbewusstsein, ungeachtet der Tatsachen und Erlebnisinhalte in einstiger “Jetztzeit”. “Zwei Historiker, drei Meinungen”, heißt es und die wirkliche Geschichte kennt keiner.

Alles “Behaltene” schleppt man als “Wissenskoffer” mit sich herum und als “Fundus” durchs Leben und behindert ständig die freie Wahrnehmung und Lebensempfindung im Hier und Jetzt… und “verformt” sie als selektive Wahrnehmungsschablone und Einordnungshilfe sehr unterschiedlich, je nach Bildungsstand und Bildungsprägung.

Der “Gebildete” ist geistig und emotional stark vorgeprägt. Das behindert vorurteilsfreies Wahrnehmen und Erleben in hohem Maße, wobei man Vorurteilsfreiheit per se ausschließen kann.

Es sollte Bildungsziel aller “Lehrenden” sein, dass neben dem Behalten-Können auch das Loslassen- und “Vergessen”-Können vermittelt und eingeübt wird – sowohl für Lehrende selbst, um sich von Anhaftungen zu lösen, als auch für seine Schüler, um wieder zu sich und zu eigenem zu finden.

Um prägende “Verformungen” zu mildern, ist es unerlässlich, immer wieder Gelegenheit zu “offenem” Wahrnehmen und Erleben zu geben, damit Geist und Gemüt sich “reinigen” und wieder frisch und lebendig aufnehmen und reagieren können “wie ein Kind”, bzw. ein unbeschriebenes Blatt und aus dem “Entdecken” und “Staunen” nicht herauskommen.

Gerade das habe ich als “Belastung der Gebildeten” empfunden: das Leben und die Welt vorgeordnet und etwas vertaubt zu erfahren, statt frisch und ursprünglich.

Über all der Bildung, Aus – und Weiterbildung hat man manchmal zu Leben verlernt und vergessen, scheint mir. Das hat die Menschen anfällig gemacht und verführbar: Von all dem “konservierten Leben” zur virtuellen Lebenswelt der Digitalisierung zu gleiten und zu künstlichen Intelligenzen – als ein Zeichen fehlender Lebensfrische.

Manche mögen das als Fortschritt ansehen. Ähnlich wie verzehrfähige Tiefkühlkost und sonstiger Bequemkost. Zweifellos führt es zum Verlust des Eingebettetseins in aktive, natürliche Lebens – und Erlebniswelten und des lebendigen Austausches der Menschen untereinander und mit der lebendigen Welt der Dreidimensionalität… zu innerer Vereinsamung und Isolation bei gleichzeitiger umfassender Kontrolle und Prägung. Nicht eine übergestülpte “Bildung” durch andere, sondern ein selbst erworbenes, erlebtes, gewachsenes, lebendiges, authentisches Bild von der Welt und von sich selbst, das auch in das sogenannte “Bildungswesen” Frische, Lebenslust und Kraft einfließen lässt wird dringend benötigt.

Die derzeitige Entwicklung hat bedenkliche und bedenkenswerte Formen angenommen. Man sollte da sehr genau hinschauen, prüfen und auch korrigieren. Besonders, dort wo es zwanghafte Verhaltensweisen fördert.

Wollen wir diese Art von Bildung und Umbildung unserer täglichen Lebenswelt und des Menschen wirklich?

Vielleicht wäre es lohnenswert, wieder etwas mehr “natürliche Bildung” durch TUN und ERLEBEN anzustreben – mit lernendem, bildendem Aufenthalt im Freien, in der Natur; von Klein an die Welt in der direkten Anschauung im tätigen Umgang mit der Natur diese “erleben” und erforschend erfahren – statt Abbildungen. Die umgebende Natur als unsere Lebenswelt und uns selbst im natürlichen Verbund kennenlernen, “Wissen” erarbeiten und “Arbeit”, durch Eigenhändiges Anbauen, Kultivieren, Experimentieren, Wachstum und Lebensbedingungen und -regeln erfahren, sowohl völlig ohne technisches Gerät, als auch mit einfachen, am besten selbst erstellten Hilfsmitteln, um durch die direkte Beschäftigung in und mit der lebendigen Natur umfassend und ganzheitlich gebildet zu werden. Bildung, die durch Erfahrung in Fleisch und Blut übergeht. Sich ein eigenes Bild machen als Bildungsgrundlage. Mit allen Sinnen und allen eigenen Fähigkeiten und Beschränkungen. Ein lebendiges Bild von der Welt und von sich selbst und vom Menschen. Lernen zu wachsen, aus soliden Wurzeln, aus denen sich eine schöne, breite Krone bilden lässt. Empfindsam und Achtsam das Lebendige wahrnehmen. Das pulsierende Leben in sich spüren, es umfassend wahrnehmen und wachsend mitzuleben, das Leben mitzubilden. Von den Bäumen die Bildungsprinzipien lernen: über die Wurzeln die Erdkräfte sammeln, über das Blattwerk die kosmischen Kräfte aufnehmen und beständig erhaben dem Licht entgegenwachsen.

Rosemarie Lehnen 22./23.6.2019

 

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